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Anleihen

Auf dem Weg aus der Krise

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Während europäische Länder allmählich beginnen, die aufgrund des Coronavirus eingeführten Beschränkungen zu lockern, könnte es eine ganze Weile dauern, bis das Wachstum auf das Niveau vor der Krise zurückkehrt, meint unser Head of European Fixed Income David Zahn. Ihm zufolge stellt die Krise eine weitere Belastungsprobe für die Europäische Union dar, da das Coronavirus einige Länder stärker getroffen hat als andere. Seiner Meinung nach könnte dies jedoch möglicherweise der beste Zeitpunkt seit Jahren sein, um in europäische Rentenwerte zu investieren.

Es besteht kein Zweifel, dass COVID-19 für die europäische Wirtschaft verheerend war: Im ersten Quartal stand im Euroraum eine Kontraktion des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3,8 % zu Buche.[1] Angesichts der Tatsache, dass nur einige wenige Wochen des Quartals von den Einschränkungen betroffen waren, wurden recht heftige Auswirkungen innerhalb eines kurzen Zeitraums verzeichnet. Wir gehen davon aus, dass das BIP im zweiten Quartal weiter sinken wird, bevor dann hoffentlich im dritten und vierten Quartal eine gewisse Erholung einsetzt. Für das Gesamtjahr könnte das europäische BIP um 10 % oder mehr sinken.[2]

Unterschiedliche Auswirkungen, unterschiedliche Bedürfnisse

COVID-19 hat sich unterschiedlich auf die Länder in Europa ausgewirkt. Daher waren die individuellen Bedürfnisse unterschiedlich, ebenso wie die Reaktionen der jeweiligen Regierungen auf die Krise. Unserer Ansicht nach war die Reaktion der Europäischen Union (EU) bislang schwach. Die politischen Entscheidungsträger diskutieren immer noch, in welchem Umfang und in welcher Form Konjunkturmaßnahmen erforderlich sind, während einzelne Länder bereits konkrete Maßnahmen ergriffen haben. Wir beobachten fast eine „Balkanisierung“ Europas: Einige Länder sind effektiver mit dem Virus umgegangen, haben weniger starke Konsequenzen erlitten, und waren daher in der Lage, ihre Wirtschaft früher wieder zu öffnen als andere. Italien und Spanien erlauben beispielsweise keinerlei Ein- und Ausreisen, während Litauen, Estland und Lettland einen Block gebildet haben, innerhalb dessen Bewegungsfreiheit gewährt wird. Wir werden also bestimmte Ländergruppierungen sehen, in denen ein langsamer Handels- und Personenverkehr erlaubt ist.

Tourismus ist für viele europäische Wirtschaftsräume von zentraler Bedeutung, so dass einige Länder stärkere langfristige Auswirkungen durch eine eingeschränkte Reisetätigkeit während der bevorstehenden Sommersaison verzeichnen dürften als andere. In Spanien beispielsweise entfallen rund 15 % des BIP auf den Reise- und Tourismussektor,[3] so dass ein längerer Rückgang der Reisetätigkeit Spanien stärker in Mitleidenschaft ziehen dürfte als einige andere Länder.

Es wurden gewisse fiskalpolitische Konjunkturmaßnahmen ergriffen, damit die Menschen über die Runden kommen, während sie zu Hause bleiben – unserer Einschätzung nach werden jedoch weitere Anreizmaßnahmen erforderlich sein, während die Länder ihre Ausgangsbeschränkungen lockern und ihre Wirtschaft wieder anlaufen lassen. Wir sehen erste Anzeichen auf Fortschritte, müssen jedoch auch die menschliche Psyche berücksichtigen – wie kann es erreicht werden, dass sich die Menschen wieder sicher fühlen, ihr Heim verlassen, auf Reisen gehen und Geld ausgeben?

Es könnte mehrere Jahre dauern, bis die europäische Wirtschaft wieder auf das vor der Pandemie verzeichnete Wachstumsniveau zurückkehrt. Und es wird zweifellos Rückschläge geben. Die Wirtschaft wurde noch niemals in diesem Ausmaß gestoppt und dann wieder hochgefahren.

Ein Blick auf das Vereinigte Königreich zeigt, dass die politischen Entscheidungsträger dort ein starkes fiskal- und geldpolitisches Konjunkturpaket geschnürt haben – in dem Sinne, dass sie die richtigen Maßnahmen ergriffen haben, um die Wirtschaft zu stützen. Am 12. Mai kündigte die britische Regierung an, sie werde ihr Kurzarbeitsprogramm bis Oktober verlängern, so dass Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, noch mehrere weitere Monate lang über ein Einkommen verfügen.

Wir gehen davon aus, dass die Bank of England (BoE) bei ihrer nächsten Sitzung im Juni weitere Maßnahmen zur quantitativen Lockerung bekanntgeben wird. Die wirtschaftlichen Folgen sind im Vereinigten Königreich ähnlich wie in Europa insgesamt ausgefallen: Für dieses Jahr wird ein BIP-Rückgang um etwa 10 % erwartet. Daher gehen wir davon aus, dass die Zentralbank ihre Geldpolitik stark lockern und ihre Anleihekäufe über den Sommer hinaus fortsetzen muss. Somit rechnen wir damit, dass sich Gilts weiterhin gut entwickeln werden.

Deutsches Gericht wirft Hindernis auf

Die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgt bislang eine ultralockere Geldpolitik, und da sich die Inflation nicht in der Nähe ihres Ziels bewegt, kann sie sich dies auch leisten. Bei ihrer jüngsten geldpolitischen Sitzung kündigte die EZB neue zielgerichtete langfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO III) mit einem Zinssatz von -1 % sowie Pandemic Emergency Longer-Term Refinancing Operations (PELTROs) mit einem Satz von -0,75 Basispunkten an.[4] Für Banken stehen derzeit also äußerst günstige Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die EZB meldete zudem, dass ihr zur Bekämpfung der Pandemie aufgelegtes Notfallprogramm zur quantitativen Lockerung, das Anleihekäufe in Höhe von 750 Mrd. EUR vorsieht, möglicherweise aufgestockt werden muss.

Unterdessen beobachten wir Spannungen zwischen einem Land – Deutschland – und paneuropäischen Institutionen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 5. Mai befunden, dass das in der Zeit von 2015 bis 2018 durchgeführt Anleihekaufprogramm der EZB „den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ nicht beachtet und möglicherweise Haushaltsdefizite finanziert hat. Das Urteil bezog sich zwar nicht auf das aktuelle, mit dem Coronavirus verbundene Programm, einigen Beobachtern zufolge könnte es im weiteren Verlauf jedoch zu entsprechenden Konsequenzen kommen – auch dieses Programm könnte als rechtswidrig eingestuft werden. Dies ist ein interessantes Hindernis, das die Stärke der EU auf die Probe stellt, wobei sich Nord und Süd gegenüberstehen.

Spanien und Italien im Süden wurden am stärksten vom Coronavirus getroffen und haben erklärt, dass sie weitere Unterstützung benötigen. Sie befürworten die Ausgabe von „Coronabonds“ – eines neuartigen Schuldinstruments, das von allen Ländern der Eurozone unterstützt würde, um die Auswirkungen der Krise zu finanzieren. Deutschland und die Niederlande haben sich indes gegen die Anleihen ausgesprochen.

Darüber hinaus hat es Debatten über einen gemeinsamen Plan zur Bewältigung der Pandemie gegeben. Die nördlichen Länder befürworten allgemein Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen, während die südlichen Länder direkte Zuwendungen erhalten wollen. Diese Art von Uneinigkeit erinnert an die europäische Staatsschuldenkrise des Jahres 2011, bei der sich ebenfalls Italien und Spanien auf der einen und Deutschland und die Niederlande auf der anderen Seite gegenüberstanden. Die beiden Seiten der Eurozone diskutieren erneut darüber, wer für die aktuelle Krise bezahlen soll – und wie eine solche Bezahlung erfolgen soll.

Der Unterschied besteht dieses Mal darin, dass COVID-19 einen externen Schock aufgrund eines humanitären Ereignisses darstellt, für das niemand verantwortlich ist. Es scheint, als sollte es für die beiden Seiten relativ leicht sein, eine Einigung zu finden. Wenn es den EU-Ländern nicht gelingt, sich auf eine effektive, einheitliche Reaktion auf die Pandemie zu einigen, könnte hiermit die Saat für weiteres Misstrauen gesät werden. Es könnte erneut Uneinigkeit bezüglich der Zukunft Europas aufkommen.

Angesichts des ungünstigen kurzfristigen Ausblicks für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungslage wird unserer Einschätzung nach irgendetwas vonnöten sein, um die europäische Wirtschaft wieder anlaufen zu lassen. Es wird ein europaweites Unterstützungsprogramm geben, das allerdings langsamer umgesetzt werden dürfte als in anderen einzelnen Ländern. Diese gelockerte Geldpolitik dürfte uns noch über mehrere Jahre hinweg begleiten.

Brexit-Probleme werden erneut aufflackern

Während die Schlagzeilen rund um den Brexit aufgrund des Coronavirus ein wenig in den Hintergrund getreten sind, gibt es nach wie vor Probleme, die gelöst werden müssen. An erster Stelle: ein Handelsabkommen. Für das Vereinigte Königreich gilt eine Frist bis zum 1. Juli, um eine Verlängerung zu beantragen. Allerdings hat die britische Regierung bislang nicht um eine solche Maßnahme gebeten. Es gibt einen Entwurf, aber die EU-Länder verlangen Zugang zu britischen Fischfanggewässern – ansonsten wollen sie keiner Einigung zustimmen. Beide Seiten beharren auf ihrem Standpunkt, aber keine von ihnen kann sich einen No-Deal-Brexit leisten, denn weder in der EU noch im Vereinigten Königreich ist die Wirtschaftslage derzeit sonderlich rosig. Es mag zum einen oder anderen politischen Manöver kommen, aber angesichts der momentan verringerten Handelstätigkeit macht es vielleicht keinen allzu großen Unterschied, ob ein Handelsabkommen erreicht wird oder nicht.

Ein weiterer interessanter Punkt ist die Tatsache, dass die EU bilaterale Abkommen zwischen einzelnen Ländern untersagt. Angesichts der Coronavirus-Situation beobachten wir jedoch, dass einzelne Länder, wie oben bereits erwähnt, kleine Reise- und Handelsblocks bilden.

Sollte das Vereinigte Königreich eine Verlängerung beantragen, würde dies eine interessante Frage aufwerfen: Würde vom Vereinigten Königreich erwartet werden, einen Beitrag zu einem Pandemiefonds zu leisten?

Betrachtung der Investmentlandschaft

Abgesehen von britischen Gilts bieten unserer Einschätzung nach auch die Märkte für Staatsanleihen der europäischen Peripherieländer (Italien, Griechenland und Portugal) gute Chancen für Anleger. Aus unserer Sicht schaffen die aktuellen Spannungen innerhalb der EU in Wahrheit eine gute Gelegenheit, um Europa zu stärken. Wenn es jetzt nicht geschieht, wird es wahrscheinlich niemals geschehen. Wir sind außerdem der Ansicht, dass Anleger in Europa eine Long-Durationsposition halten sollten, da das Wachstum so schwach und die Inflation somit sehr gering ausfallen wird.

Zudem halten wir europäische Investment-Grade-Anleihen derzeit für attraktiv. Die Renditen waren zwar über Jahre hinweg sehr niedrig gewesen, wir sehen in diesem Bereich derzeit jedoch eine Chance für Anleger auf der Suche nach Erträgen, da es hochwertige europäische Unternehmen gibt, die die Krise überleben und sich langfristig gut entwickeln werden. Als langfristig orientierte Anleger sind wir der Ansicht, dass dies ein ausgezeichneter Zeitpunkt ist, um europäische Staats- und Unternehmensanleihen einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

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[1] Quelle: Vorläufige BIP-Schnellschätzung von Eurostat vom 30. April 2020.

[2] Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Schätzungen oder Prognosen bewahrheiten.

[3] Quelle: World Travel and Tourism Council, Daten für 2018.

[4] Ein Basispunkt ist eine Maßeinheit. Ein Basispunkt entspricht 0,01 %.

 

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