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Perspektiven

Investitions Impuls zur US Wahl 2020: Volkswirtschaftlicher Blick auf die US-Politik und Pandemie

Regierungen und Zentralbanken haben aggressive Konjunkturprogramme zur Stützung der von der Coronavirus-Pandemie geschwächten Wirtschaft aufgelegt, aber wird die Weltwirtschaft sich 2021 erholen? Michael Hasenstab, CIO von Templeton Global Macro, und Francis Scotland, Director of Global Macro Research bei Brandywine Global, sprechen über ihre makroökonomische Einschätzung für das kommende Jahr. Während die Welt gespannt auf einen Impfstoff wartet und in den USA ein Regierungswechsel und damit neue politische Akzente anstehen, diskutieren sie darüber, ob das Glas halb leer oder halb voll erscheint.

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Hier einige der Höhepunkte des Gesprächs heute:

  • „Die Vereinigten Staaten sind ein tief gespaltenes Land. Gründe für die Spaltung sind Rassenkonflikte, Einkommensunterschiede und Differenzen zwischen Regionen oder zwischen urbanen und ländlichen Gegenden. Hier Gemeinsamkeiten zu finden, auf denen Kompromisse aufgebaut und dann tatsächlich Gesetze verabschiedet werden können, wird für die nächste Regierung die größte Herausforderung sein. Selbst wenn man die Unterschiede zwischen den Parteien außer acht lässt und sich nur auf die internen Konflikte innerhalb der Parteien konzentriert, dann ist aus dem Wahlergebnis klar ersichtlich, dass sich die Parteien auch untereinander nicht einig sind, welche Weg sie in Bezug auf die Wirtschaft oder die gesellschaftlichen Entwicklungen einschlagen sollen. Das ist aus meiner Sicht eine Herausforderung – und hoffentlich eine Chance.“ Michael Hasenstab
  • „In gewisser Hinsicht wiederholen wir die letzte Pandemie vor fast hundert Jahren. Die „goldenen Zwanziger“ folgten auf die Pandemie von 1918 und ich gehe davon aus, dass auch wir wieder „goldene Zwanzigerjahre“ bekommen werden. Warum gehe ich davon aus? Ich betrachte alle klassischen makroökonomischen Faktoren, die man normalerweise heranziehen würde, um den Lauf der Dinge zu prognostizieren – der Verzögerungseffekt rückläufiger Anleiherenditen, die niedrigen Energiepreise, die kumulative Wirkung von Konjunkturmaßnahmen aus der Vergangenheit, die hohen privaten Sparquoten in den USA, China und Europa – jede Menge potenzielle Kaufkraft.“ –Francis Scotland
  • „Das vergangene Jahr war wie ein Massaker bei Unternehmen und in den Staatshaushalten – all das wurde unter einen Teppich aus massiven Staatsausgaben gekehrt , der in manchen Fällen die entstandenen Schäden verdeckte. Aber wie lange können wir solche Unsummen ausgeben, bis der Aufschwung sich selbst trägt? Ich halte dies für eine sehr wichtige Frage, denn ich mache mir Sorgen: wir gehen die Probleme nicht strukturell an sondern neigen dazu, sie unter viel Geld zu begraben und dies als einzige Lösung anzusehen. Unsere Staatshaushalte geben uns aber nicht so viel Spielraum.“ – Michael Hasenstab
  • „Die Regierung Trump ist in vielen verschiedenen Punkten aggressiv gegen China vorgegangen. Der Ton wird zwar etwas ruhiger werden, aber ich gehe davon aus, dass die Probleme, die die USA mit China und der Welt haben, im Kern dieselben bleiben. Wie wir sie lösen, steht auf einem anderen Blatt. Die Regierung Trump setzte sehr stark auf Zölle und Sanktionen und versuchte so, Veränderungen herbeizuführen. Wie aggressiv die Regierung Biden unter diesen Umständen vorgehen wird, bleibt abzuwarten.“ – Francis Scotland

Transkript:

Katie Klingensmith: Michael, ich würde gerne mit Ihnen beginnen: zur Zeit passiert so Vieles gleichzeitig und mich interessiert ihre allgemeine Einschätzung. Wo standen wir aus Ihrer Sicht in der Entwicklung der US-Wirtschaft, in einem groben Überblick: gehen Sie davon aus, dass sich seit dem Wahlausgang wirklich so viel geändert hat, vor allem nachdem die erwartete „blaue Welle“ – also ein deutlicher Wahlsieg der Demokraten – ausgeblieben ist?

Michael Hasenstab: Was sich nicht geändert hat ist nach meiner Auffassung viel interessanter. Wenn wir das Wahlergebnis und die Vorlieben der Wähler bei den Kongress- und Präsidentschaftswahlen betrachten wird eines klar – wahrscheinlich das größte Problem: das Land ist tief gespalten. Rasse, Einkommensunterschiede, regionale Differenzen und unterschiedliche Auffassungen in Städten und auf dem Land sorgen für diese Spaltung und eine echte Polarisierung. Hier Gemeinsamkeiten zu finden, auf denen Kompromisse aufgebaut und dann tatsächlich Gesetze verabschiedet werden können, wird für die nächste Regierung die größte Herausforderung sein. Selbst wenn man die Unterschiede zwischen den Parteien außer acht lässt und sich nur auf die internen Konflikte innerhalb der Parteien konzentriert, dann ist aus dem Wahlergebnis klar ersichtlich, dass sich die Parteien auch untereinander nicht einig sind, welche Weg sie in Bezug auf die Wirtschaft oder die gesellschaftlichen Entwicklungen einschlagen sollen. Ich halte das für eine große Herausforderung – hoffentlich auch eine Chance – das Land zu einen. Aber einige dieser Differenzen sind schwieriger beizulegen als andere, vor allem wenn die Parteien gegenüber der jeweils anderen und auch untereinander gespalten sind. Statt die Probleme strukturell anzugehen neigen wir dazu, sie unter viel Geld zu begraben und das als einzige Lösung zu betrachten – eine Besorgnis erregende Entwicklung. Unsere Staatshaushalte haben nicht so viel Spielraum, aber keiner der Parteien im gesamten politischen Spektrum scheint etwas anderes einzufallen als immer noch mehr Geld auszugeben. Ich gehe davon aus, dass sich das nach den Wahlen leider nicht geändert hat.

Katie Klingensmith: Auf jeden Fall. Über die fiskalpolitischen Folgen möchte ich auf jeden Fall noch weiter reden. Aber zunächst meine Frage an Sie, Francis: wo sehen Sie die US-Wirtschaft im Großen und Ganzen? Und welche generellen Strategieänderungen ergeben sich eventuell aus der US-Wahl?

Francis Scotland: Katie, ich bin der Meinung dass wir in gewisser Hinsicht die letzte Pandemie vor fast hundert Jahren wiederholen. Auf die Pandemie von 1918 folgten die „goldenen Zwanziger“ und ich gehe davon aus, dass auch wir wieder „goldene Zwanzigerjahre“ erleben werden. Warum gehe ich davon aus? Ich schaue aus dem Fenster und sehe alle klassischen makroökonomischen Faktoren, die man normalerweise heranziehen würde, um den Lauf der Dinge zu prognostizieren – der Verzögerungseffekt rückläufiger Anleiherenditen, die niedrigen Energiepreise, die kumulative Wirkung von Konjunkturmaßnahmen aus der Vergangenheit, die hohen privaten Sparquoten in den USA, China und Europa und in den Haushalten – da ist jede Menge potenzielle Kaufkraft. Durch das Virus und all die Ereignisse, die Lockdowns und politischen Entscheidungen dieses Jahres, sehe ich nicht die geringste Unterstützung für Haushaltssanierungen, sondern eher die Bereitschaft, noch weitere Unterstützungsmaßnahmen einzuleiten. Das Einzige, was diesem Szenario noch im Weg steht, ist das Virus und wie wir damit umgehen. Ich selbst bin der Auffassung, dass wir lernen werden, damit zu leben, und dass die Technologie und die Therapien irgendwann damit fertig werden. Das Beste, was sich nach der Wahl verändert hat, war aus meiner Sicht die Ankündigung in dieser Woche, dass ein glaubwürdiger Impfstoff in Aussicht steht.

Dr. Fauci hat stets dafür plädiert, die Erwartungen zu zügeln. Er kündigte heute an, dass bis April 2021 eventuell ein Impfstoff für alle Amerikaner zur Verfügung steht. Das ist unglaublich. Eine wunderbare Nachricht, die das makroökonomische Umfeld stark beeinflussen wird. Das ist wohl der wichtigste Punkt, auf den ich mich konzentriert habe. In Bezug auf die Wahlen stimme ich Michael in allen Punkten zu. Anscheinend wird ein Präsident Joe Biden ohne deutliche Kongressmehrheit regieren müssen, daher werden die massiven Investitionen des Staates, die bei einem haushohen Sieg der Demokraten zu erwarten gewesen wären, wahrscheinlich ausbleiben. Aber der von den Republikanern dominierte Senat schmiedet derzeit Pläne in Höhe von über 1 Billion USD. Dazu kommen die anderen bereits erwähnten Faktoren und die Hoffnung, dass wir dieses Virus in naher Zukunft in den Griff bekommen – und alles deutet auf einen ziemlich positiven makroökonomischen Ausblick hin.

Katie Klingensmith: Michael, wo standen wir denn kurz vor den Wahlen, welche Punkte sind hier besonders wichtig? Ich weiß, Sie haben auch einige mögliche Hindernisse für eine tatsächlich robuste Erholung der US-Wirtschaft in naher Zukunft ausgemacht. Was bereitet Ihnen Sorgen?

Michael Hasenstab: Wie Francis schon sagte würde auch ich wirklich sehr gerne „goldene Zwanzigerjahre“ erleben. Vor allem nach 2020 – was war das bloß für ein Jahr. Der Impfstoff ist eine tolle Nachricht. Die Effizienz und die Ankündigungen sind ziemlich positiv. Auch die Zahlen zur Verteilung, die er erwähnt hat – die Effizienz ist eine Sache, aber auch die Nachrichten zur Verteilung sind wirklich wichtig. Die eine große Frage lautet: wie wird das kommende Jahr laufen? In der Annahme, dass wir weiterhin gute Nachrichten zum Virus erhalten, stellt sich die Frage, ob es ohne diese massiven Konjunkturmaßnahmen einen nachhaltigen Aufschwung geben wird? Im vergangenen Jahr gab es ein regelrechtes Massaker bei Unternehmen und in den Staatshaushalten. All das wurde gleichsam unter einen Teppich aus massiven Staatsausgaben gekehrt. Tatsächlich entspricht der Umfang der Verluste bei Unternehmen und Haushalten in etwa den Unterstützungszahlungen. Dadurch wurden die entstandenen Schäden teilweise verdeckt. Aber wie lange können wir solche Unsummen ausgeben, bis der Aufschwung sich selbst trägt? Ich halte dies für eine sehr wichtige Frage, Für uns geht es letztlich um die Abhängigkeit von der Fiskalpolitik. Gibt es Einschränkungen? An welchem Punkt sind weitere unbegrenzte Ausgaben oder geldpolitische Lockerungen schlicht nicht mehr möglich? Genau das ist die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen.

Katie Klingensmith: Natürlich, auf jeden Fall. Francis, Sie erwähnten, dass Sie nun ein Konjunkturpaket mit einem Volumen von rund 1 Billion US-Dollar erwarten. Reicht 1 Billion USD Ihrer Ansicht nach wirklich aus, um die US-Wirtschaft durch den Winter zu bekommen – oder wie lange es auch immer dauern wird, bis wir dank einer Impfung wieder etwas leichter mit dem Virus leben können?

Francis Scotland: Ich bin nicht sicher, ob wir es tatsächlich brauchen werden, denn ich gehe wirklich davon aus, dass die Entwicklung im Gange ist und dass eine nachhaltige Erholung bereits begonnen hat. Schauen Sie zum Beispiel, was im Immobiliensektor passiert: die Zinsen liegen deutlich unter dem Schwellenwert, der für Wachstum bei Wohnimmobilien erforderlich ist. Jede einzelne Kennzahl, die man heranziehen könnte, sieht derzeit hervorragend aus. Die Vorstellung, dass die US-Wirtschaft wieder in eine Rezession abgleiten könnte, erscheint sehr weit hergeholt, es sei denn, wir bekommen wieder einen von der Regierung angeordneten weit gefassten Lockdown. Aber dieses Szenario ist nur schwer vorstellbar. Ein anderer Punkt, der mir auffällt: das Hilfspaket in Höhe von 3 Billionen US-Dollar, das Anfang des Jahres beschlossen wurde, lief zum größten Teil im Juli und August aus. Wir haben inzwischen November, und natürlich sind ein paar Indikatoren rückläufig. Einige der Mobilitätsdaten haben sich zurückentwickelt. Aber wenn wir die tatsächlichen Wirtschaftsdaten betrachten, dann wird der Aufschwung zwar langsamer, kehrt sich aber nicht um – daher bin ich nicht sicher, ob wir dieses neue Konjunkturpaket wirklich brauchen. Ich weiß, die fiskalpolitische Klippe [ein gleichzeitiges Auslaufen von Steuererleichterungen und staatlichen Ausgabenprogrammen, Anm. d. Übers.] ist in aller Munde, aber in meinen Augen handelt es sich dabei eher um das Risiko, dass Informationen möglicherweise Verluste nach sich ziehen. Wesentlich mehr Sorgen machen mir Informationen, die positive Überraschungen bringen könnten. Denken Sie doch mal nach: was tun Sie wahrscheinlich als erstes, wenn Sie sich sicher fühlen? Sie gehen aus, Sie gehen in ein Restaurant, Sie organisieren eine Party und Sie feiern. Das könnte aus meiner Sicht eine wahre Kursexplosion nach sich ziehen. Von Anfang an war das aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit, immerhin führt die ganze Welt einen Krieg gegen dieses Virus. Wir sind alle auf derselben Seite. Selbst Dr. Fauci, der nun wirklich nicht zu übertriebenen Aussagen neigt, sagt uns, dass wir voraussichtlich im April einen Impfstoff haben werden. Das ist echt unglaublich.

Katie Klingensmith: In der Tat. Michael – Sie merkten an, dass Sie eine gewisse Abhängigkeit von der Defizitfinanzierung sehen. Wann wird diese Abhängigkeit für die USA tatsächlich zum Problem?

Michael Hasenstab: Die große Sorge bestand darin, dass die Verschuldung wohl schon vor der Coronakrise zu hoch war – und zwar weltweit. Internationale Organisationen, die Bank für internationalen Zahlungsverkehr und der internationale Währungsfonds hatten vor der zu hohen Verschuldung gewarnt. Durch die Coronakrise wurden weitere Ausgaben erforderlich. Dadurch stieg die Verschuldung weiter. Wir gehen davon aus, dass Politiker wahrscheinlich dazu tendieren, zu viel auszugeben und weitere Risiken einzugehen statt die Ausgaben einzudämmen, dadurch steigt sie noch mehr. In den Industrieländern sind wir mittlerweile an einem Punkt, wo das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt in etwa dem Niveau nach dem zweiten Weltkrieg entspricht, also nach einem massiven Wiederaufbau. Dieses Niveau ist sehr, sehr hoch. Leider weiß ich nicht wirklich, wie wir dieses Problem in den Griff bekommen sollen, wenn wir immer noch mehr Geld ausgeben, denn weltweit scheint die generelle Tendenz zu lauten: Ausgaben jetzt, Gedanken darüber machen wir uns später.

Katie Klingensmith: Francis, macht Ihnen der Schuldenüberhang in den USA und anderen Industrieländern Sorgen?

Francis Scotland: Ja, auf jeden Fall. Nichts im Leben ist geschenkt, davon bin ich absolut überzeugt. Aber letzten Endes muss dieses Konzept mit den Schuldenquoten in Einklang gebracht werden. Dabei kommt man um den Schuldendienst nicht herum und hier dreht sich alles um Zinsen. Die Zinssätze sind derzeit in fast allen Industrieländern im Prinzip bei Null. Die Zinsaufwendungen für neue Schulden in den Bilanzen der Industrieländer liegen somit ebenfalls praktisch bei Null. Ein Land wie Japan, das weltweit die eine der höchsten Quoten von Staatsschulden zu BIP aufweist, ist auch eines der Länder mit den niedrigsten Zinsen und hatte diese niedrigsten Zinsen schon seit zehn Jahren. Im Hintergrund ist hier also eine wichtige Dynamik am Werk. Sparguthaben sind auch wichtig. Übermäßige Sparquoten zu Beginn der Coronakrise führten strukturell zu langfristiger Stagnation. Reicht das aus? Wir haben mehr Sparguthaben als verfügbare Anlagemöglichkeiten und zumindest die Lockdowns haben ein großes Loch in das weltweite BIP-Profil gerissen. Die privaten Sparquoten stiegen und diese Geschichte explodierte geradezu. Es sieht also nach einem Geschenk aus – ist aber keines. Diese Entwicklung wird uns einholen, wenn die Zinsen deutlich steigen. Zu welchem Zeitpunkt würde dies aus meiner Sicht ein Problem werden? Wann steigen die Zinsen wieder nachhaltig an?

Katie Klingensmith: Diesen Gedanken würde ich gerne verfolgen und Michael noch einmal dazu befragen. Die US-Notenbank Fed hat offensichtlich mit einem ganzen Strauß an Maßnahmen recht aggressiv reagiert und die US-Wirtschaft in dieser schwierigen Situation unterstützt. Kann die Fed aus Ihrer Sicht diese Stimulierungsmaßnahmen in dieser Höhe oder ausreichend umfangreiche Stimulierungsmaßnahmen auch in Zukunft aufrechterhalten?

Michael Hasenstab: Aus meiner Sicht ist es nicht nur die Fed, sondern die Zentralbanken weltweit haben ihre Geldpolitik sehr locker gehalten und offensichtlich hervorragend dazu beigetragen, diese Krise zu überwinden. Dies war ein sehr wichtiger Bestandteil der politischen Reaktion. Francis weist hier allerdings auf diese ausgesprochen wichtige Wechselwirkung zwischen Fiskal- und Geldpolitik hin. In einem idealen Szenario entsteht selbst bei lockerer Geldpolitik und Nullzinsen keine Inflation. Daher haben wir begonnen, uns über potenzielle Einschränkungen Gedanken zu machen. Angesichts des insgesamt großen Nachfrageschocks ist dies zwar aus unserer Sicht kein unmittelbares Problem, aber die lockere Fiskal- und Geldpolitik könnte sich, wenn auch voraussichtlich nicht sofort, irgendwann bei der Inflation bemerkbar machen. Dass das gesamte Wirtschaftssystem so stark von den Zentralbanken abhängt und wir ihnen die Lösung so vieler Probleme aufgetragen haben, ist meiner Meinung nach die andere Herausforderung. Es ist eine Herkulesaufgabe. Jetzt müssen aber andere Teile der Regierung einschreiten und in anderen Politikfeldern Vorgaben machen: in der Handelspolitik, beim Wachstum, bei der Sozialpolitik. Wir können nicht einfach so weitermachen und uns zur Lösung all dieser Probleme auf die Zentralbanken verlassen. Das müssen wir überwinden.

Katie Klingensmith: Francis, was sagen Sie dazu? Sind Sie auch der Meinung, dass der Fed und den anderen Zentralbanken die Tricks ausgehen, oder finden Sie, dass sie weiterhin so umfassend agieren können wie bisher?

Francis Scotland: Das traditionelle Handwerkszeug der Zentralbanken zur Steuerung der Wirtschaft ist der Einfluss, denn sie durch Zinsen auf den bevorzugten Zeitpunkt für Ausgaben nehmen. Die Zinsen sind aber bei Null – zumindest am kurzen Ende der Zinskurve – und somit ist ihnen diese Möglichkeit genommen. In Japan hat die Zentralbank die Zinskurve kontrolliert. Sie hat versucht, den Laufzeitaufschlag am langen Ende der Zinskurve zu manipulieren, so könnte man es also versuchen. Abgesehen davon sind die einzigen anderen Optionen, zumindest nach meiner Auffassung, allesamt außerordentliche Maßnahmen. Angesichts der Nullzinsen hat die Federal Reserve also genau genommen keine moderne geldpolitische Theorie angewandt, aber die Bilanz sieht ziemlich genau so aus, als hätten sie eben dies getan. Sie haben im Prinzip die außerordentlichen Stimulierungsmaßnahmen dieses Jahres finanziert. Sie können es also. Laut Federal Reserve Act hat die Fed sehr viele Befugnisse, sie kann fast alles tun, solange es die Wirtschaft vor Deflation schützt oder vor anderen Dingen, die die Fed für problematisch hält. Die Fed hat ihr Mandat also ausgeweitet. Sie hat die Einschränkung im Federal Reserve Act umgangen und ihr Mandat auf die Unterstützung des Markts für Unternehmensanleihen ausgedehnt – in Asien kaufen Zentralbanken Aktien entweder direkt oder indirekt. Ich gehe also davon aus, dass wir die Fähigkeit der Zentralbanken, Geld zu drucken und Dinge zu kaufen und die Auswirkungen die dies auf alles andere haben könnte, niemals unterschätzen sollten.

Katie Klingensmith: Michael, Sie haben den weltweiten Kontext erwähnt: dass die Fed sich ähnlich verhält wie viele andere Zentralbanken. Daher frage ich mich, ob einige der Spannungen in den USA, die Sie am Anfang erwähnt hatten, in anderen Ländern eventuell in ähnlicher Form existieren. Wie sehr unterscheiden sich die Wahlen in den USA und die Probleme, die entstanden sind, von den Problemen in anderen Ländern.

Michael Hasenstab: Momentan passiert sehr viel und es gibt riesige Unterschiede. Sicher gibt es gespaltene Regierungen, Populismus, Nationalismus, die auch diese Idee der modernen Geldpolitiktheorie betrachten und sich fragen: „wollen wir das machen?“ In manchen Ländern verbietet dies die Verfassung. Daher ist die Bandbreite weltweit sehr groß, auch in Bezug auf das Coronavirus. Die dritte Welle findet in Asien so gut wie gar nicht statt, in den USA und in Europa war sie hingegen stärker. Mancherorts sieht man natürlich Populismus, aber in einem Land wie Japan scheint er nicht vorhanden und dort herrscht auch starke politische Einigkeit. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Fiskalpolitik in den Schwellenländern: einige Länder hatten zu Beginn der Krise hohe und andere ziemlich niedrige Verschuldungsquoten. Daher werden auch die Folgen offensichtlich unterschiedlich ausfallen. Die Situation ist aus meiner Sicht heute so unterschiedlich wie schon sehr lange nicht mehr – und stellt für uns eine interessante Chance dar. Man muss sich nur klar machen, dass einige der Probleme, die wir in der Fiskalpolitik und bei gespaltenen Regierungen sehen, auch in anderen Ländern vorkommen.

Katie Klingensmith: Auf jeden Fall. Francis: wenn wir vor allem die möglichen Auswirkungen der Wahlen betrachten, gehen Sie davon aus, dass die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China und anderen Ländern sich unter einer Regierung Biden tatsächlich ändern werden oder bleibt alles beim Alten?

Francis Scotland: Um die Handelspolitik dürfte sich die Exekutive kümmern. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass das Büro des US-Handelsvertreters Anfang 2018 dem Kongress einen umfassenden Bericht darüber vorlegte, wie China seiner Meinung nach das Welthandelssystem austrickste. Auf der Grundlage dieser Wahrnehmung forderte die Regierung Trump China in vielen verschiedenen Punkten heraus. Die Rhetorik wird vielleicht etwas gemäßigter, aber ich gehe davon aus, dass die Probleme, die die USA mit China und der Welt und in gewissem Maße mit der Beteiligung Chinas am Welthandelssystem haben, im Grundsatz die gleichen bleiben werden. Das Problem bleibt aus meiner Sicht unverändert bestehen. Wie es gelöst wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die Regierung Trump setzte stark auf Zölle und Sanktionen und versuchte dadurch, Änderungen herbeizuführen. Wie aggressiv die Regierung Biden unter diesen Umständen sein wird, bleibt abzuwarten.

Katie Klingensmith: Michael, Sie haben darauf hingewiesen, dass einige der Probleme, mit denen wir es in den USA zu tun haben, tatsächlich globale Probleme sind oder zumindest in anderen Ländern auch auftreten. Aber natürlich sind die Verhältnisse überall auf der Welt ein bisschen anders. Gibt es andere geopolitische Themen, die Sie derzeit aus Investmentsicht beobachten?

Michael Hasenstab: Sicher. Ich denke Francis hat bereits eines der großen Themen erwähnt. Das Verhältnis zwischen den USA und China ist heute ein anderes als in den vergangenen 40 Jahren. Diese Veränderung kam nicht über Nacht. Sie hat sich wohl über die letzten fünf bis sieben Jahre entwickelt. Hier treffen zwei Supermächte aufeinander und noch steht nicht fest, wie diese neue Beziehung aussehen wird. Auf beiden Seiten gibt es aus meiner Sicht gewisse Spannungen, die hoffentlich kollaborativ und wirksam gelöst werden können. Meiner Meinung nach sind die Beziehungen zwischen den USA und China eine der größten geopolitischen Veränderungen, die derzeit stattfinden. Auf jeden Fall ist die Dynamik eine andere als die, die wir seit den Zeiten Richard Nixons und Mao Zedongs vor vielen Jahrzehnten gesehen haben und die sozusagen diesen Pfad in Richtung Öffnung begründet haben. Wie Francis bereits erwähnte, kam in den letzten Jahren die Frage auf, wohin sich diese Beziehung entwickelt hat. Offensichtlich müssen beide Seiten neu festlegen, wie sie miteinander umgehen wollen.

Katie Klingensmith: Die grundlegende Dynamik der US-Wirtschaft, der Corona-Impfstoff, die Rolle der Fiskal- und Geldpolitik und auch die längerfristigen Veränderungen in den Beziehungen zwischen Ländern, die auch von anderen Faktoren als der Wahl in den USA beeinflusst werden – Sie sprechen heute auf jeden Fall viele wichtige Themen an. Aber wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs und ich würde gerne zunächst Sie, Michael, um ein Fazit mit Hinblick auf die Wahlen in den USA bitten: welche Veränderung oder welchen Aspekt halten Sie für besonders wichtig?

Michael Hasenstab:Vor allem wird es wohl darauf ankommen, wie die neue Regierung ihr Portfolio aufteilt. Welche zentralen Persönlichkeiten werden die wichtigsten Ämter bekleiden und somit die Macht in der Regierung innehaben. Francis hat es bereits erwähnt: die Exekutive macht die Handelspolitik, hat entscheidenden Einfluss auf die Umweltpolitik und hat auch bei der Arbeitsmarktpolitik und der Regulierung ein entscheidendes Wort mitzureden. Dieser Teil der Regierung kann wirklich etwas bewirken. Das war schon bei mehreren Regierungen der Fall, die in der Vergangenheit mit gegensätzlichen Mehrheiten im Kongress arbeiten mussten. Daher müssen die Dinge in der Exekutive geregelt werden. Außerdem müssen wir wissen, wie die Exekutive aufgebaut ist. Eine neue Regierung kann aus vielen verschiedenen Optionen wählen. Ich hatte ja bereits gesagt, dass die Demokratische Partei stark gespalten ist. Daher werden wir sehr viel Informationen daraus ziehen können, welche Flügel der Partei für Wirtschaft und Soziales zuständig sind und in welche politische Richtung das Ganze geht. Das werden wir sehr schnell wissen. Vermutlich ist es auch der Punkt, den wir derzeit im Auge behalten sollten.

Katie Klingensmith: Francis, was meinen Sie: welche Aspekte sind besonders wichtig oder werden sich infolge der Wahlen verändern?

Francis Scotland: Nun, aus meiner Sicht ist die Wahl noch nicht vorbei. Ich persönlich denke, dass Präsident Trump gehen wird, aber vermutlich mit irgend einem Knall. Das größere Thema ist derzeit meiner Meinung nach der Senat. Über den Senat gibt es gerade Streit und ich halte die endgültige Zusammensetzung des Senats für ein sehr wichtiges Ergebnis dieser Wahlen. Wird der Senat demokratisch und Joe Biden Präsident, dann werden die Karten ganz neu gemischt. Momentan sieht es für mich so aus, als ob die Märkte einen Präsidenten Joe Biden mit einer gespaltenen Regierung einpreisen – also im Prinzip eine Pattsituation. Noch ist aber nichts entschieden. Wir wissen überhaupt nicht, was passieren wird.  Betrachten wir den Standpunkt der Biden-Kampagne vor der Wahl, dann werden wir keine Steuererhöhungen bekommen. Wir werden auch keine massiven Investitionsprogramme sehen, die selbst die heutigen Haushaltsdefizite in den Schatten stellen. Es wird zu einer Pattsituation kommen. Historisch gesehen war dies stets positiv für Risikoanlagen. In jedem Fall positiver als eine von den Republikanern oder Demokraten dominierte Regierung. Allerdings ist ein Bereich im Hinblick auf den makroökonomischen Ausblick noch sehr unsicher – wie stark wird die Regierung Biden versuchen, mit „executive orders“ [Verfügungen des Präsidenten, die keiner Zustimmung vonseiten des Parlaments bedürfen, Anm. d. Übers.] – zu arbeiten. Diese Anordnungen waren ein Merkmal der letzten beiden Regierungen und der gewählte Präsident Biden hat gesagt, dass er wegen des Klimawandels und des Umweltschutzes den heimischen Energiesektor stark regulieren würde, Larry Kudlow [der Leiter des United States National Economic Council] und die Regierung Trump glauben, dass viele der Deregulierungsmaßnahmen für einen Teil der wirtschaftlichen Vitalität in den Trump-Jahren verantwortlich waren. Eine erneute Regulierung verschiedener Wirtschaftszweige hätte also möglicherweise wichtige makroökonomische Folgen, also für die Währung, die Zinssätze und so weiter.

Katie Klingensmith: Vielen Dank an Dr. Michael Hasenstab, den CIO der Templeton Global Macro Group und an Francis Scotland, den Leiter des Global Macro Research für Brandywine Global, für dieses Gespräch.

 

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